Michael Ondaatje:
Buddy Boldens Blues


Deutscher Taschenbuch Verlag, 1997

179 Seiten

ISBN: 978-3423123334


Kurzinformation

Aus den Bruchstücken eines Lebens konstruiert Michael Ondaatje ein poetisches Porträt, mischt Photos, Interviews, Protokolle von Tonbandaufnahmen mit fiktiven Monologen und Gesprächen. Es entsteht der faszinierende Roman einer bewegten Epoche und eines Mannes, der auf der Suche nach sich selbst seinen Verstand verlor und von dem als Zeugnis nur ein Photo blieb – und der Mythos. Buddy Bolden war der beste, lauteste und meistgeliebte Jazzmusiker seiner Zeit.

„Das Buch ist die reinste Musik. Das kann Ondaatje wie nur wenige andere: den Dingen ihre Melodie entlocken.”

Michael Althen, Süddeutsche Zeitung

Quelle: http://www.dtv.de/titel/buddy_boldens_blues_12333.html

 

Blues zum Lesen, nicht zum Hören
Michael Ondaatjes Buddy Bolden – Biographie
Von Sebastian Domsch

In „Buddy Boldens Blues” nimmt sich Michael Ondaatje der Biographie eines Musikers an, von dem trotz seiner Bedeutung für die Musikgeschichte nicht viel mehr übriggeblieben ist als eine Legende und ein paar karge Daten. Buddy Bolden wurde um 1876 geboren, er arbeitete als Friseur in New Orleans und man sagt ihm nach, er habe dort den Jazz erfunden. 1907 verliert er bei einem Umzug spielend den Verstand und wird in eine Irrenanstalt eingewiesen, in der er 1931 stirbt. Seine Musik ist nie aufgezeichnet worden.

Ondaatje hat diese wenigen Fakten sorgfältig zusammengetragen, und ganz im Sinne der Nachvollziehbarkeit weist er in einem Anhang auf seine Quellen hin, aus denen er zum Teil sogar wörtlich zitiert hat. Dennoch hat er keine Biographie im üblichen Sinne geschrieben, was angesichts der verfügbaren Informationen über Buddy Bolden auch nur zu einem sehr schmalen Bändchen gereicht hätte. Vielmehr versucht er sich erzählend und von verschiedenen Perspektiven der Person dieses begnadeten Musikers und geisteskranken Alkoholikers zu nähern. „Es kam zu dem Höhepunkt beim Umzug, und danach hast du dich aus dem Geschäft um den Ruhm im zwanzigsten Jahrhundert zurückgezogen, der Rest deines Lebens eine Ödnis von Fakten. Habe sie aufgeschnitten und ausgebreitet wie Müll.” Es sind tatsächlich die Trümmer eines Lebens, die der Leser vor sich findet, ein Trümmerhaufen allerdings, in dem noch so manches versteckte Juwel funkelt.

Durch mehrere Instanzen wird die Geschichte Boldens rekonstruiert. Da ist zum einen der Erzähler oder Biograph, der sich zeitlich sehr nahe an Ondaatje selbst befindet und der mit den heute noch zugänglichen Fakten arbeitet. Außerdem gibt es Webb, einen Polizisten und alten Freund von Bolden, der sich Jahre nach seinem plötzlichen Verschwinden aufmacht, ihn wieder zu finden. Und zuletzt stellen sich immer wieder Erinnerungsfetzen der einzelnen Beteiligten ein. All das fügt sich zu einem sperrigen Profil dieses Mannes, zu einem Profil, das ehrlich genug ist, nicht den Anspruch der Vollkommenheit zu erheben.

Der eigentliche Grund jedoch, warum wir uns überhaupt für diesen Buddy Bolden und sein Leben interessieren sollen, ist seine Musik, die lauter und eigenwilliger war als jede andere in New Orleans. Genau so, wie Ondaatje uns den Charakter und das Milieu Boldens begreiflich machen muss, genau so sollte er uns auch für dessen einzigartiges Genie begeistern. Diese eigentlich unmögliche Darstellung von Musik in einem erzählenden Text scheint für Schriftsteller immer wieder ein faszinierendes Unterfangen zu sein, vielleicht auch gerade wegen den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Ondaatje möchte uns einen der Gründerväter des Jazz von New Orleans und seine unvergleichliche Art, das Hornett zu spielen, nahebringen. Erschwert wird dieser Versuch durch die bereits erwähnte Tatsache, daß es von Boldens Musik keine einzige Tonaufnahme gibt; so ziemlich das einzige Dokument seines Lebens ist eine stark ramponierte Fotografie von ihm und seiner Band, um die sich ein großer Teil des Buches dreht und die im Buch selbst auch abgedruckt ist. Die derzeit so beliebte Beigabe einer CD zum Buch scheidet also leider aus. Leider, weil die Musik, die man zu hören bekäme, sicherlich sehr interessant wäre, leider aber auch, weil es Ondaatje nicht ganz gelingt, uns das Besondere dieser Musik durch seine Darstellung auch tatsächlich „hören” zu lassen. So dicht ihm auch mit wenigen kurzen Sätzen die Schilderung der besonderen Atmosphäre von New Orleans um die Jahrhundertwende gelingt, so unhörbar bleibt Buddy Boldens Blues. Wir glauben diesen Blues zu verstehen, wenn wir das Buch gelesen haben, wir sehen den seltsamen Musiker und seine seltsame Welt in aller Klarheit vor uns, aber wir können ihn nicht hören.

Quelle: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=1102&ausgabe=200006

 

Autor

Michael Ondaatje, von holländisch-tamilisch-singhalesischer Abstammung, wurde am 10. September 1943 in Sri Lanka geboren. Nach seiner Schulausbildung in England übersiedelte er 1962 nach Kanada, wo er heute noch lebt. Internationalen Ruhm erlangte Ondaatje mit seinem Roman ›Der englische Patient‹, für den er 1992 den Booker Prize erhielt.

Quelle: www.dtv.de
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

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