Ned Sublette:
The Year Before the Flood. A Story of New Orleans


Lawrence Hill Books,
Chicago 2009

452 Seiten

ISBN: 978-1-55652-824-8


Wo Ned Sublette in seinem bereits besprochenen, vielgerühmten Buch zur Kolonialisierung von New Orleans die Frühgeschichte der Stadt erzählt, in der der Jazz geboren wurde, da beleuchtet er in seinem neuesten Buch die Stadt in der Gegenwart des Jahres 2005, im Jahr vor dem Hurricane Katrina, der die Stadt in ihren Grundfesten erschütterte, nicht nur die architektonische Schäden anrichtete, sondern die Struktur der Stadt als soziales Gebilde, ja sogar ihre bloße Existenz in Frage stellte. Das Manuskript über das Leben in New Orleans war bereits weit fortgeschritten, als der Hurricane am 27. August 2005 auf die Stadt am Mississippi-Delta zustürmte. Jeder in New Orleans habe gewusst, dass eine Katastrophe bevorstand, und jeder habe es offenen Auges verdrängt. Auch die Armen hätten es gewusst, und sie hätte es am stärksten getroffen. Sie seien schließlich mit OneWayTickets aus der Stadt gebracht worden und ihre Rückkehr sei durch Bürokratie oder die Dampfwalzen der Regierung erschwert oder unmöglich gemacht worden. Das Buch entstand parallel zu seinen Forschungen zu den kulturellen Verbindungen zwischen New Orleans, Kuba und Santo Domingo im 18. und 19. Jahrhundert. Nach Katrina lag das Manuskript auf seinem Schreibtisch; die Folgen des Hurricanes waren so enorm, dass Sublette das Buchthema änderte und neben den sozialen und kulturellen Bedingungen der Stadt auch deren Bezug zur Gegenwart aufzeigen wollte, zur Zeit vor und zur Zeit nach Katrina. Das Buch enthält viele autobiographische Notizen — Sublette lebte bis zu seinem neunten Lebensjahr in New Orleans — hier finden sich die meisten und eindringlichsten historischen Informationen über den alltäglichen Rassismus der 50er, 60er und 70er Jahre und die Probleme ihn zu überkommen. Ein längerer Exkurs erzählt die Geschichte des rassistischen Films “The Birth of a Nation” von 1915, daneben aber auch Sublettes eigenen Erlebnisse mit dem Rassismus des amerikanischen Süden oder über die Arbeitsmöglichkeiten für schwarze Musiker im New Orleans der 1950er Jahre. Er erzählt Geschichten über seinen Aufenthalt für die Recherchen zu dem Buch, im Jahr vor Katrina, über die sozialen Ungleichheiten der Stadt, über den Kulturschock, den er als mittlerweile New Yorker bei der Rückkehr in den Süden empfand, über alte Jazzmusiker und die Hip-Hop-Szene der Stadt, über Mardi Gras und die karibischen Verbindungen, über das JazzFest, Super Sunday und den “mörderischen Sommer” vor dem Hurricane. Schließlich der kürzere dritte Teil des Buchs, geschrieben nach Katrina, im Schock der Ereignisse und der hilflosen Versuche einer Rettung der Stadt. New Orleans sei immer anders als alle anderen Großstädte der USA gewesen, schreibt Sublette: Die Stadt mit dem unsichersten Boden des Landes wurde bewohnt von den Menschen mit den tiefsten Wurzeln. Die meisten der Menschen, die in New Orleans lebten, waren sein Generationen in der Stadt verwurzelt. Genau das ist es, was er in seinem Buch nachzuzeichnen versucht, und die persönliche Betroffenheit, mit der er Gegenwart, Geschichte und Autobiographisches verwebt macht das Buch zu einer spannenden Lektüre, die einen zurücklässt ein wenig wie der Blues: traurig, aber hoffend und in jedem Fall beeindruckt von der Stärke der in die Geschichte verwickelten Menschen.

Quelle:

Rezension von Wolfram Knauer (http://www.jazzinstitut.de)
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

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