Albert Ayler Trio:
Spiritual Unity


Ghosts: First Variation / The Wizzard / Spirits / Ghosts: Second Variation
Albert Ayler (ts), Gary Peacock (b), Sunny Murray (dr)
New York, 10. Juli 1964

 

Albert Ayler (1936-1970) war umstritten. Erst 1983, beinahe ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, nahm das Jazzmagazin „Down Beat“ den Saxofonisten in die „Hall of Fame“ auf. Die Skepsis ist bezeichnend für die Zurückhaltung, mit der seine Musik bereits zu Lebzeiten konfrontiert war. Ayler verweigerte sich der Theorie und damit der Nachvollziehbarkeit durch die Kritik. Sein Zugang zur freien Improvisation war intuitiv, geprägt von den Jugenderfahrungen in Militärkapellen, Showbands und Bluescombos, dann durch die Free-Experimente in Europa (1960/61) und die Monate mit dem Pianisten Cecil Taylor (1962). In den ihm wohlgesonnenen Szenekreisen galt er als Erneuerer, der im Gegenzug zu John Coltranes spieltechnischen Modifikationen seinem Instrument klanglich und emotional urwüchsige Perspektiven erschloss. Unter Verzicht auf die harmonischen, melodischen und rhythmischen Gewohnheiten des Jazz stellte er den Puls der kollektiv entwickelten Sound- und Strukturbildung in den Mittelpunkt seiner Musik. Das war ein radikaler Ansatz, der am besten in kleinen, interagierenden Ensembles realisierbar war. Beispiel „Spiritual Unity“, der Startschuss des Labels ESP und Aylers amerikanisches Plattendebüt. Basis der Aufnahmen in den Variety Arts Studios war ein eingespieltes Trio mit dem Bassisten Gary Peacock und dem Schlagzeuger Sunny Murray, das der Tenorsaxofonist seit einigen Wochen leitete. Die drei innerhalb weniger Stunden und aufgrund eines Technikfehlers mono archivierten Kompositionen stammten von Ayler. Ghosts wurde in einer kompakten (First Variation) und einer redundanten Version (Second Variation) festgehalten. Der Aufbau der Stücke war ähnlich – ein hymnisches Motiv als Klammer, Ausgangs- und Endpunkt fließender Improvisationen – und wurde durch Ghosts auf die Dramaturgie des gesamten Albums übertragen. Aylers Ton changierte von singend introvertiert (Spirits) über schreiend expressiv (The Wizzard) bis hin zu fröhlich kehlig (Ghosts). Murray agierte beckenlastig, Peacock zugleich volltönend und perkussiv. Das Resultat klang symbiotisch, kollektiv und trotzdem frei. Damit wies „Spiritual Unity“, kaum eine halbe Stunde lang, stilistisch und im Hinblick auf das Band-Konzept weit in die Zukunft.

Quelle: Dombrowski, Ralf. 2005. „Basis-Diskothek Jazz“.
Mit einem Nachwort von Manfred Scheffner.
Stuttgart: Reclam.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

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